Hierzu wurden Rubidium-Atome mittels einer Kühlung durch Laserlicht und anderer atom-optischer Methoden in einen extrem niedrigen Energiezustand überführt, der weniger als einem Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt entspricht. Unter diesen Bedingungen bildet eine Wolke aus mehreren zehntausend Atomen einen neuen Materiezustand - ein Bose-Einstein Kondensat. Eine besondere Eigenschaft dieses Zustands ist sein makroskopischer Wellencharakter - die ultrakalte Atomwolke zeigt Interferenzphänomene ähnlich wie Laserlicht. Diese Überlagerung von Wellen ist prinzipiell in einem atom-optischen Instrument wie einem Materiewellen-Interferometer für Präzisionsmessungen nutzbar.
Auf dem Weg zum ersten Weltraum-Experiment mit BEKs waren viele technische Herausforderungen zu überwinden, da diese Materiewellen empfindlich auf Umwelteinflüsse wie Vibrationen und Magnetfelder reagieren und daher ihre kohärente Entwicklung im freien Fall auf der Erde nur über kurze Zeiten beobachtet werden kann. Ziel der MAIUS-1 Raketenmission war es daher, die Machbarkeit eines BEKs in einer miniaturisierten und robusten Apparatur im Weltraumeinsatz erstmalig zu demonstrieren und zu erforschen. Der Raketenflug ermöglicht es letztendlich in etwa hundert Experimenten Methoden zur Manipulation von Quantenmaterie und BEK-Interferometrie durchzuführen. Dies erforderte schwerelose Bedingungen wie bei einem Raketenflug.
Die Rakete MAIUS-1 (Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) startete um 3.30 Uhr morgens vom schwedischen Startplatz ESRANGE in der Nähe der Stadt Kiruna nördlich des Polarkreises und flog bis zu einer Höhe von 243 Kilometern. Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern von insgesamt elf deutschen Universitäten, darunter Holger Ahlers, Dennis Becker, Maike Lachmann, Thjis Wendrich und Stephan Seidel von der Leibniz Universität Hannover, und anderen Forschungseinrichtungen sowie der schwedische Startplatzbetreiber überwachten die autonom operierende Nutzlast sowie den Flug der Rakete vom Boden aus. Während der antriebslosen Flugphase oberhalb von etwa 100 Kilometern bis zum Scheitelpunkt und zurück, standen sechs Minuten Experimentierzeit bei schwerelosen Bedingungen zur Verfügung.
Bereits die Sofortanalyse der während des Fluges übermittelten Daten ließ das Forscherteam jubeln, als feststand, dass eines der wesentlichen Experimentziele erreicht worden war: Es war gelungen erstmalig BEKs im All zu erzeugen! Die Landung der technologisch und wissenschaftlich höchst anspruchsvollen Nutzlast erfolgte ebenfalls planmäßig an einem Fallschirmsystem im tief verschneiten Nordschweden. Nach Jahren intensiver Vorbereitung der Mission, wird die Auswertung der zahlreichen Experimente die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den nächsten Wochen und Monaten weiter in Atem halten. Sie dienten der Beobachtung des Phasenübergangs der Kondensation sowie der Analyse der Evolution der BEKs während des ausgedehnten freien Falls mittels der Atominterferometrie. Die dabei entstehenden Erkenntnisse sollen in die Entwicklung neuer Methoden eingehen, wie sie für zukünftige Weltraummissionen notwendig sind.
Konventionelle Apparaturen benötigen zur Erzeugung von Bose-Einstein Kondensaten bis zu einer Minute und füllen gewöhnlich ein ganzes Labor. Eine wichtige Voraussetzung für die MAIUS-Mission ist daher die Erzeugung von BEKs mit Atomchips, mit denen auf kleinstem Raum Atome gebändigt werden können. Atomchips erlauben die Erzeugung magnetische Felder zum Einschluss der Atome mit Hilfe planarer Stromkreise auf kleinstem Raum auf einem Substrat und wurden insbesondere von Nobelpreisträger Theodor Hänsch sowie Jakob Reichel und Jörg Schmiedmayer entwickelt. Sie waren der Ausgangspunkt für die Atomchip basierte BEK Interferometer, die an der Leibniz Universität Hannover am Institut für Quantenoptik in der Gruppe von Ernst M. Rasel und Wolfgang Ertmer in engster Kooperation mit dem Theoretiker Wolfgang Schleich in Ulm erforscht werden. Mit dem auf MAIUS-1 eingesetzten Atomchip lassen sich BEKs von mehreren hunderttausend Atomen in weniger als 2 Sekunden erzeugen. Experimente am Fallturm in Bremen erlaubten deutschen Wissenschaftlern Methoden für die BEK-Interferometrie unter Schwerelosigkeit zu erkunden. So wurde der Weg zur MAIUS-Mission geebnet.
Im terrestrischen Laboraufbau lassen sich BEKs nur etwa hundert Millisekunden im freien Fall aufrechterhalten und manipulieren. Dazu wird ein freier Fall der kondensierten Atomwolke in einer evakuierten Apparatur über wenige Zentimeter genutzt - die Atome erfahren dabei kurzzeitige Schwerelosigkeit. In den vergangenen Jahren gelang es deutschen Forschern im Fallturm Bremen, BEKs über eine Zeitspanne von etwa zwei Sekunden in der Schwerelosigkeit zu erzeugen und zu untersuchen. Dabei wurde der freie Fall einer speziellen Apparatur namens QUANTUS in der evakuierten Turmröhre über eine Strecke von etwa 110 Metern realisiert. Der freie Fall der MAIUS-1 Rakete von mehreren Minuten auf einer langen ballistischen Flugbahn eröffnete den Wissenschaftlern den ersehnten größeren Spielraum, um in experimentelles Neuland vorzudringen.
Der Reiz, ein BEK möglichst lange aufrecht zu erhalten, hat auch einen wichtigen Anwendungsaspekt. Die Empfindlichkeit eines Atominterferometers wächst nämlich quadratisch mit der freien Fallzeit von BEKs in einem solchen Messgerät. So ist es nicht verwunderlich, dass bereits über lang andauernde Missionen von Weltraumsatelliten nachgedacht wird, um mittels Quantenmaterie das Einsteinsche Äquivalenzprinzip von schwerer und träger Masse - einem Eckpfeiler unseres physikalischen Weltbildes - wesentlich genauer als bisher zu überprüfen. Auch der Einsatz von Quantensensoren in Satelliten für eine präzisere Geodäsie und Navigation wird schon diskutiert.
Das Projekt MAIUS-1 steht unter wissenschaftlicher Leitung der Leibniz Universität Hannover im Verbund mit der Humboldt-Universität und dem Ferdinand-Braun-Institut in Berlin, dem ZARM der Universität Bremen, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Hamburg, der Universität Ulm und der Technischen Universität Darmstadt. Dem Forschungsverbund gehörten auch die Institute für Raumfahrtsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen, für Raumflugbetrieb und Astronautentraining - hier die Mobile Raketenbasis MORABA - in Oberpfaffenhofen sowie die DLR Einrichtung für Simulations- und Softwaretechnik in Braunschweig an. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Studierenden, vielen jungen Wissenschaftlern und Ingenieuren sowie Hochschullehrenden betraf alle Subsysteme der Nutzlast, von der Atomchipapparatur über die Laser, die Elektronik, die Datenspeicherung, die magnetische Abschirmung, die Batterien bis hin zur Flugsoftware. Die Rakete wurde in einer zweistufigen Konfiguration eingesetzt mit Feststoffmotoren aus brasilianischer Produktion. Die Durchführung der Startkampagne oblag der DLR-MORABA.
Das Projekt wurde vom DLR-Raumfahrtmanagement in Bonn mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gefördert. Nach einer detaillierten Auswertung der Experimentdaten ist die nächste Raketenmission bereits für 2018 geplant. Sie dient der Erforschung von Bose-Einstein Kondensaten zweier Atomsorten (neben Rubidium auch Kalium) in einem Interferometer, einem notwendigen Zwischenschritt zum Test des Einsteinschen Äquivalenzprinzips mit Materiewellen. Darüber hinaus sind die MAIUS-Raketenmissionen und die QUANTUS-Experimente im Bremer Fallturm unter langjähriger Betreuung von Rainer Kuhl und seinem Nachfolger Thomas Driebe aus dem DLR-Raumfahrtmanagement ein wichtiges Bindeglied für die ab 2017 in Kooperation mit der NASA geplanten Experimente zu ultrakalten Atomen auf der Internationalen Raumstation, an denen die deutschen Wissenschaftler maßgeblich beteiligt sind.